Die Seele der 1/125 Sekunde

Warum der anstrengende Weg oft der lohnendere ist

Neuer Sonntag, neues Bild. Diesmal wieder in Schwarz-Weiß, aufgenommen an einem ruhigen Abend am Drachensee hier in meiner Heimat.

Zwischen dem leisen Klicken des Auslösers an meiner Leica und dem digitalisierten Bild, das ihr heute seht, liegt eine kleine Welt. Es ist ein Pfad voller manueller Schritte, geprägt von Warten und Hoffnung. In den exakt 1/125 Sekunden, in denen sich der Verschluss öffnet und der Film belichtet wird, ist das Ergebnis nicht absehbar.

Dieses Bild habe ich, wie die meisten meiner Schwarz-Weiß-Aufnahmen, selbst entwickelt. Das ist ein Ritual für sich: Zuerst werden die Chemikalien präzise angemischt. Dann, in absoluter Dunkelheit, wird der empfindliche Film aus seiner Spule befreit und in den Entwicklungstank gefädelt – ein Moment, der pures Fingerspitzengefühl erfordert. Und dann beginnt der eigentliche Prozess, eine fast meditative Abfolge: Entwickler bei exakt 20 Grad für 17,5 Minuten. Stoppbad. Fixierer. Wässerungshilfe. Zum Schluss zehn Minuten langes Spülen, bevor die fertigen Negative zum Trocknen aufgehängt werden.

Es ist ein langer Prozess, der sich über Stunden erstreckt und reich an Potenzial für Fehler ist. War die Temperatur nicht korrekt? Habe ich die Chemikalien vertauscht? Ist beim Hantieren in der Dunkelkammer doch ein Lichtstrahl auf den Film gefallen? So viele Variablen, so viel Risiko. Erst ganz am Ende, wenn das getrocknete Negativ gegen das Licht gehalten wird, weiß man, ob die Arbeit Früchte getragen hat.

Aber genau diese Spannung, dieses bewusste Eingehen eines Risikos, macht den Reiz aus. Wir sind heute sehr bequem geworden. In der Fotografie reicht ein schneller Schnappschuss mit dem Handy, und eine ausgeklügelte Software korrigiert alles, damit das Bild am Ende „ganz gut“ aussieht. Doch dieser Hang zur Mühelosigkeit erstreckt sich über die Fotografie hinaus. Es wirkt fast schon verpönt, wenn etwas anstrengend ist; alles soll möglichst reibungslos und einfach sein. Digitale Alltagshelfer nehmen uns immer mehr Arbeit ab – insbesondere durch den Vormarsch von Künstlicher Intelligenz wie ChatGPT. Eine komplexe Frage oder Aufgabe wird schnell weiterdelegiert, oft ohne den Versuch eines eigenen Gedankens.

Langfristig besteht die Gefahr, dass wir die Fähigkeit verlieren, selbst kreativ Lösungen zu finden, wenn wir jegliche kognitive Anstrengung vermeiden. Es schadet daher nicht, ab und zu bewusst den umständlicheren Weg zu gehen. Einfach mal Stift und Papier zur Hand zu nehmen und Überlegungen analog festzuhalten. Das Ergebnis mag nicht perfekt sein, aber es ist echt und stammt von einem selbst.

Dieses Foto hier ist der beste Beweis dafür. Es ist nicht perfekt. Insbesondere die linke Bildhälfte ist viel zu dunkel, was vermutlich an einer Unregelmäßigkeit des Verschlussvorhangs meiner Kamera lag. Doch dieser Fehler macht es zu einem Unikat. Er ist eine Narbe, die mich an all die analogen Entwicklungsschritte erinnert, die nötig waren, um das Bild fertigzustellen.

Und genau das ist am Ende das Schönste daran: Man weiß das Ergebnis so viel mehr zu schätzen, wenn man den Weg kennt, der dahinterliegt – mit all seiner Arbeit, seinem Risiko und seinen einzigartigen, unperfekten Spuren.

„Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn man nichts mehr hinzufügen kann, sondern wenn man nichts mehr weglassen kann.“

– Antoine de Saint-Exupéry

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