Über die Freiheit der Festlegung in der analogen Fotografie

Kaum zu glauben, dass das Jahr schon wieder zur Hälfte rum ist. Silvester fühlt sich an wie gestern, und doch ist es bis zum nächsten Jahreswechsel genauso lang wie seit dem letzten. Ein komisches Gefühl. Ich habe das zum Anlass genommen, einfach mal durch meine Negative der letzten sechs Monate zu schauen.
17 Filmrollen sind es geworden. Eine bunte Mischung aus Schwarz-Weiß und Farbe, hohe und niedrige ISO-Werte, mal gepusht, mal gepullt. Bei jeder einzelnen Rolle stand am Anfang dieselbe, fast schon rituelle Entscheidung: Welchen Look möchte ich für die nächsten 36 Bilder? Denn anders als bei der digitalen Fotografie, wo man den Stil oft erst hinterher am Computer festlegt, fällt diese Entscheidung beim Film ganz am Anfang. Und dann ist sie gefallen. Für 36 Bilder. Kein Zurück.
Und ja, das kann einen manchmal in den Wahnsinn treiben. Man kennt es vielleicht: Man hat einen Schwarz-Weiß-Film in der Kamera und erlebt den prächtigsten Sonnenaufgang in den unglaublichsten Farben. Oder man hat einen Film mit niedriger ISO geladen und plötzlich ergibt sich eine wunderschöne Szene in der Dämmerung, für die das Licht einfach nicht reicht. Man flucht innerlich ein bisschen und lässt die Kamera in der Tasche.
Aber wisst ihr, was das Verrückte ist? Genau darin liegt auch eine unglaubliche Erleichterung. Die ständige Sorge, etwas zu verpassen (dieses berühmte FOMO-Gefühl), entfällt. Wir alle kennen doch den digitalen Reflex: Aus Angst, den perfekten Schuss zu verpassen, wird der Auslöser behandelt wie der Abzug eines Maschinengewehrs. Unzählige Bilder, verschiedene Winkel, andere Einstellungen. Irgendeins wird schon passen. Man verliert sich in den Möglichkeiten.
Die Fotografie auf Film erdet mich da. Sie zwingt mich sanft, eine Entscheidung zu treffen und dann damit zu leben. Das Bild heute ist so ein Moment. Ich hatte an diesem Tag ganz bewusst den Cinestill 50D eingelegt – einen Film, der fantastische Farben hat, aber extrem wenig Licht verträgt. Ich wusste, ich verpflichte mich damit zu hellem Sonnenschein und zu nichts anderem. Aber für dieses Licht, das durch die Baumkronen bricht, war er genau der Richtige. Das langsame, manuelle Fokussieren tut sein Übriges, um den Moment wirklich wahrzunehmen, anstatt ihn nur zu konsumieren.
Und ich merke immer mehr, wie ich diese Ruhe auch mitnehme, wenn ich die digitale Kamera in die Hand nehme. Vielleicht geht es am Ende gar nicht darum, unendlich viele Bilder zu machen. Sondern nur das eine, das sich im richtigen Moment genau richtig anfühlt.„In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister.“
Johann Wolfgang von Goethe
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